Ein Jahr der Kunst und der kulturellen Hochleistungen: Im Juli 1955 empfängt die erste Documenta in Kassel kunstsinnige Besucher aus aller Welt. 130.000 Menschen kamen zu der damals noch mit finanzieller Unterstützung der Zonenrandförderung realisierten Documenta1. Das vom Krieg gezeichnete Fridericianum wurde dazu im Stil des Bauhauses nüchtern und schmucklos, aber stilsicher architektonisch verschönert. Gezeigt wurde die im dritten Reich verbotene „entartete“, also abstrakte und moderne Kunst. Der Andrang übertraf die Erwartungen.
Der stark amerikanisch geprägte Zeitgeist war strikt auf die Zukunft ausgerichtet: höher, weiter, größer, schneller, moderner! Das erste Guinness Book of Records spiegelt diesen Willen zum Superlativ in allen Lebensbereichen wider. Furchtlose Alpinisten bestürmen für den Ruhm ihrer Nationen die höchsten Gipfel des Himalaya: Lionel Terray und Jean Couzy bestiegen 1955 als Erste den 8.485 Meter hohen Makalu. Das Fernsehen entwickelt sich zu einem breitenwirksamen Medium neben Radio und Presse. Elvis Presley eroberte erst die Bühnen der Welt und dann zum ersten Mal das Fernsehen.
Mit „Rock around the Clock“ von Bill Haley & His Comets erreicht der Rock ’n‘ Roll erstmals Platz 1 der US-Charts. Diesen Erfolg verdankte der Song unter anderem einem Kinofilm: „Die Saat der Gewalt“ ließ den Rock-’n‘-Roll-Song zu Beginn und im Abspann hören. Bis 2004 wurde der Hit etwa 200 Millionen Mal verkauft, ein Weltrekord.
Im Kino zeigten Regisseure wie Alfred Hitchcock mit seinem „Fenster zum Hof“, wozu die Kunstform des Films in der Lage ist.
Sogar der Stein der Weisen wurde 1955 von findigen Forschern gefunden: Die härteste und seltenste Preziose unter den Mineralien, der Diamant, lässt sich seitdem künstlich herstellen.
Im Design der zukunftsträchtigsten Konsumgüter, der Automobile, gab es 1955 mindestens zwei herausragende Nachrichten: Das seltsam sympathisch gerundete VW-Modell „Käfer“ lief zum einmillionsten Mal vom Band. Das Automobil, durch Massenproduktion erschwinglich geworden, hatte sich gesellschaftlich in ganzer Breite durchgesetzt.
Mit faszinierender Fantasie und raffiniertem Erfindungsgeist gingen französische Ingenieure daran, das Fahrzeug der Zukunft zu gestalten. Der Citroën DS gehörte mit hydropneumatischer Federung, servounterstützter Lenkung und Bremsanlage sowie schwenkbaren Frontlichtern zu den technisch aufwendigsten Innovationen im Automobilmarkt. Das Auto hatte sogar eine leisere, fußgängerfreundliche Hupe und ein zweites, kompressorgetriebenes Horn für die Verwendung auf der Autobahn. Ästhetisch deklassierte das Modell seine zeitgenössische Konkurrenz mindestens um zehn Jahre. „La Déesse“, die Göttin, beherrschte 20 Jahre lang als Stil-Ikone den Automobilmarkt und wurde fast 1,5 Millionen Mal verkauft. Noch heute gehört sie zu den begehrtesten Sammlermodellen.
Ein vergleichbarer Erfolg war im Einrichtungsmarkt nur wenigen klassischen Möbelentwürfen beschieden. Unter ihnen der 3107, ein einfacher Holzstuhl aus gebogenem Schichtholz, der sich problemlos stapeln lässt und mittlerweile in mehr als sieben Millionen Exemplaren verkauft wurde. Wenn der VW Golf „das Auto“ ist, dürfte Fritz Hansen beim 3107 mit dem gleichen Recht von „dem Stuhl“ sprechen.